2.Kapitel
„Du siehst gut aus.“ Sagte er mit einem
aufmunternden Lächeln. Sie zog eine Augenbraue hoch und musterte ihn mit
grimmigem Blick.
„Ich bin auf einer beschissenen Beerdigung,
trage ein beschissenes Trauerkleid und versuche verdammt noch mal niemanden
umzubringen. Ich sehe also alles andere, als gut aus!“ Zischte sie ihm zu,
während sie versuchte ihre Wut zu unterdrücken, einigermaßen
„beerdigungsgerecht“ auszusehen, was auch immer das heißen sollte, und
niemanden für seine Scheinheiligkeit zu verachten.
„Ich meinte auch eigentlich, dass du
scheinbar gut damit zurechtkommst. Mit der ganzen Situation.“
„Ich weiß nicht, ob du mir zugehört hast,
aber Mordgedanken zu hegen, würde ich nicht gerade als ‚gut zurechtkommen‘
bezeichnen.“ - Er lachte sie ein
bisschen aus, aber das war ok, es war ja auch irgendwie lächerlich. Warum war
sie überhaupt gekommen? Das ergab nicht mal Sinn. Sie absolut unerwünscht war.
In der Kirche, von den Heulsusen, sorry Trauernden und sogar die Toten schienen
sie hier nicht besonders gern zu sehen. Sie hatte das Gefühl von überall
angestarrt zu werden und von ihren Blicken gesteinigt zu werden.
Wieso also, kam ausgerechnet ER und interessierte
sich dafür, wie es IHR ging? Oder wollte er sich nur darüber lustig machen, noch
etwas Salz in die Wunde streuen? Nur zu, wieso nicht.
Während alle anderen aussahen als würden
sie selbst die Leichen seien, die man zu Grabe trug, schien es ihm ziemlich gut
zu gehen.
„Du siehst … auch nicht viel schlechter
aus?! Ich meine, wieso stellst du dich nicht neben deine Freundin…“ sie sprach
das Wort absichtlich übertrieben ironisch aus, es störte ihn nur wenig, „… und
ihre Busenfreundin…“ ihre Stimme wurde leiser, ihr Ton dafür noch etwas
abfälliger, „…. und ihr heult um die Wette?“
Beide standen sie etwas abseits der großen
Gruppe an Verwandten und Bekannten, als wären sie die Ausgestoßenen. Nur mit
dem Unterschied, dass Mia als Einzige nicht erwünscht war. Zu zweit
beobachteten sie wie der Sag hinuntergelassen wurde. Nervös kaute sie auf dem
Kaugummi herum. Das gehörte sich nicht, oder? Egal. Nikotinkaugummi. Widerlich!
Doch der Geschmack auf ihrer Zunge beruhigte sie, als würde er sie ein letztes
Mal küssen. Sie hatte nie geraucht, hasste den Geruch in ihrer Nase, den
Geschmack auf ihrer Zunge, alles daran. Jetzt war es nur eine weitere
Erinnerung, die sie für sich behalten wollte.
Layla, seine Louis Freundin, warf ihnen von weitem einen vernichtenden
Blick zu, nein, der galt wohl nur Mia. Fragend sah sie ihn an. „Geh schon zu
ihr, meine toten Freunde und ich fandens hier eh angenehmer ohne dich.“
Er lächelte schief, fast mitleidig, als
hätte sie keine Freunde. So war das jetzt auch nicht gemeint. Er trat ein paar
Schritte auf die Gemeinde zu, dann drehte er sich noch mal um.
„Ich bin ein Kerl, ich mach das lieber mit
mir selbst aus und heul in mich rein oder versinke im Selbstmitleid. Aber wenn
ich jemand zum Reden brauche, dann weiß ich, dass da Leute sind, die mich
verstehen.“ Sie wusste, wen er meinte und lächelte ein wenig, das erste Mal
seit langem. „Ich treffe mich morgen Nachmittag mit den Jungs bei Ellis.“ Sie
wollte schon abwinken, weil sie wusste was jetzt kommen würde. Und er sollte
nicht denken, sie hätte keine Freunde. Doch dann; „Ohne die Mädels. Aber ich
denke bei dir könnten wir eine Ausnahme machen. Wie immer.“ Und da war es
wieder, dieses Kumpellächeln, zu dem man einfach nicht nein sagen konnte. „Keiner
von uns hasst dich, Mia, im Gegenteil ich würde gerne Zeit mit der Frau
verbringen, die als letztes mit ihm zusammen war.“ – Sie nickte kurz, mehr
brachte sie nicht raus. Plötzlich war da ein riesiger Kloß in ihrem Hals und
sie war ihm deswegen unheimlich dankbar , dass er ihr nur aufmunternd zu
lächelte, sich schnell umdrehte und endlich zu Layla ging, bevor er die Träne sehen
konnte, die ihre Wange hinunter lief. Nur eine einzige dicke Träne, doch sie
brannte so furchtbar, es tat unheimlich weh, als würde sie sich in ihre Haut
einbrennen und für immer eine Narbe hinterlassen. Nein, bitte, nicht schon
wieder.
Und auf einmal wurde alles noch viel
schlimmer. Sie bekam keine Luft mehr, jeder Atemzug kostete ihr unglaublich
viel Kraft. Die Welt verschwamm vor ihren Augen und hatte keinen Blick mehr auf
seinen Sag, und das Grab.
Nur noch ein Gedanke, sie musste aus diesem
Kleid raus, sonst würde es sie umbringen!
Nachdem die scheinbar endlose Zeremonie
endlich vorbei war, und tausend weitere Tränen vergossen wurden, drehte er sich
erneut zu der großen Eiche ganz am Rand des Friedhofes. Immer noch schien sie
die schönsten und wärmsten Sonnenstrahlen anzuziehen. Doch der Platz darunter
war leer. Mia war verschwunden, schon seit einer ganzen Weile. Er glaubte aus
den Augenwinkeln beobachtet zu haben, als sie gegangen war. Zur gleichen Zeit
hatte Julia eine Hand voll Erde ins Grab geworfen und unglaublich theatralisch
angefangen zu schluchzen, sodass Layla sie stützen musste, damit sie nicht
zusammenbrach.
Irgendwie hatte sie Recht gehabt, das alles
hier war ziemlich beschissen und scheinheilig und … einfach nicht das was man
sich vorstellt, wenn der beste Freund stirbt. Vielleicht freute er sich
deswegen auf das Treffen mit der alten Truppe, um noch mal dieses Gefühl zu
haben und vielleicht wollte er sie deswegen dabei haben, einfach weil es dann
so wäre wie früher.
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